Ein feste Burg in Ostpreußen

Andacht für das Langenhagener ECHO am 25.02.17 von Pastor Rainer Müller-Jödicke

Es rührt sie immer noch, wenn sie davon erzählt. Denn obwohl die Ereignisse schon über siebzig Jahre her sind, hat sie die bis heute vor Augen. Sie war damals noch ein Kind, als ihre Familie durch die Russen aus Ostpreußen vertrieben wurde. Weit sind sie nicht gekommen, denn schon achtzig Kilometern war Schluss. Sie wurden mit einigen anderen Familien in einem Stall eingepfercht.

Und das, was dann am Abend passierte, lässt bis heute eine Träne über ihre Wange laufen. Ein Unteroffizier kam herein, ließ die Männer, darunter auch ihren Großvater, herausbringen, und dann hörten sie Schüsse. Sie hatten es nicht mit eigenen Augen ansehen müssen, aber sie fühlten und wussten doch genau, was passiert war.

Im Laufe des Abends wurde es dann draußen immer lauter. Was die Soldaten auf Russisch miteinander sprachen, verstanden sie nicht, aber sie bekamen durchaus mit, dass ihr Lallen und das Getöse am Alkohol lag. Ihre Oma hatte die Lage als erstes erkannt: „Die zünden gleich im Suff den Stall an, dann werden wir alle umkommen!“

Entsetzt höre ich zu, als sie das erzählt. Sie ahnte meine Frage, wie sie da heraus gekommen seien. Sie weiß es noch bis heute. Die Melodie gibt ihr bis heute Kraft. „Wir haben ein Lied angestimmt“, sagt sie: „Ein fest Burg ist unser Gott! Alle vier Strophen! Dieses alte Lutherlied, darin haben sie mit ihrer Schwester, der Mutter und Oma Kraft gesucht und es den Russen entgegen geschmettert, voller Überzeugung und aus Trotz, und eben im Vertrauen darauf, dass niemand ihnen die Hoffnung nehmen kann.

„Und dann?“ will ich wissen. „Mitten in der letzten Strophe“, sagt sie, „brach plötzlich der ganze Lärm zusammen. Wir hörten einen kommandierenden Ton, eine Stimme, die wir noch nicht kannten.“ Dann habe ein energischer Mann den Stall betreten. Die vielen Orden an seiner Brust machten allen klar, dass er wirklich etwas zu sagen hatte in der russischen Armee. Als er den Mund aufmachte, staunten alle. Denn er sprach recht gut Deutsch. In Berlin hatte er studiert und darum auch den Choral verstanden. Das Werk seiner Kameraden verurteilte er mit Abscheu und rief den grausamen Unteroffizier zur Räson. „Ja, und dann?“, drängelte ich. Er habe ihnen ein Papier ausgestellt, mit dem sie sie fortziehen und sich dann in Sicherheit bringen konnten. Sie hat es bis heute aufbewahrt – wie auch die Erinnerung an diesen Choral: Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen. Amen.

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