So geht Frieden

Andacht für das Langenhagener ECHO am 25.06.22 von  Pastor Rainer Müller-Jödicke

Wolfgang stammt aus einer Bäckerfamilie. Auch sein Vater war Bäckermeister gewesen, nur in den sechs Jahren des Zweiten Weltkrieges hatte er nicht in der heimischen Backstube stehen können, sondern war als Soldat eingesetzt gewesen. Für Wolfgangs Mutter war das nicht nur privat eine schwierige Zeit, sondern auch beruflich: Wer sollte bloß die schwere Arbeit in der Backstube übernehmen?

Doch dann brachten ihr deutsche Soldaten eines Tages Francois in die Backstube: Der war französischer Soldat und in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten. Und da Francois Bäcker gelernt hatte, sollte er nun in der Backstube helfen. Wolfgangs Familie ließ sich sofort von Francois´ französischem Charme anstecken und nahm ihn gegen alle Gesetze wie ein Familienmitglied auf. Von Anfang an mochten auch alle im Dorf den fröhlichen Bäcker, der zudem eines neues Brot einführte: Fortan kosteten alle gern seine langen dünnen Brotstangen, die er Baguette nannte!

Bei Kriegende feierte Wolfangs Familie ein Abschiedsfest und alle versprachen einander, miteinander in Kontakt zu bleiben, was auch gelang. Regelmäßig wurden Briefe ausgetauscht; und da Wolfgang in der Schule fleißig Französisch lernte, konnte er die auch übersetzen und beantworten. Eines Tages Anfang der sechziger Jahre stand nun auf dem französischen Ostergruß: „Zu Pfingsten werde ich euch besuchen, ihr müsst unbedingt meine Frau und meinen Sohn Pierre kennenlernen!“

Wolfgangs gesamte Familie war in hellster Aufregung: Offiziell galt die politische Stimmung zwischen Deutschland und Frankreich immer noch als angespannt, die Elysee-Verträge waren noch längst nicht unterzeichnet, doch privat hatte Wolfgangs Familie die Rezepte von Francois immer noch in bester Erinnerung und buk regelmäßig seine Leckereien – so auch für den angekündigten Besuchstermin.

In den ersten Minuten kam das Gespräch zwar noch etwas holperig in Gang, doch Wolfgang, der sich freute, endlich mal außerhalb der Schule Französisch sprechen zu können, kam gleich gut mit Pierre in Kontakt, der sich bald einen Fußball griff und hinterm Haus mit ihm zu kicken begann.

Am Ende sprach dann Francois eine Einladung aus: Wolfgang solle unbedingt mal nach Frankreich kommen, nicht nur über die Zeit der Sommerferien, sondern am besten ein ganzes Jahr genau die Gastfreundschaft genießen, die er, Francois, in der Bäckerfamilie erlebt hatte. Wolfgang solle Frankreich kennenlernen, und auch Pierre brauche einen deutschen Freund: „Ihr jungen Leute sollt niemals auf die Idee kommen, Krieg gegeneinander zu führen, sondern ihr müsst Freunde werden“, sagte er in brüchigem Deutsch und mit Tränen in den Augen.

Und so ist es dann tatsächlich gekommen: Sie wurden Freunde fürs Leben – und sind es bis heute geblieben. In Wolfgangs Familie gibt es übrigens immer noch diese selbst gebackenen weißen langen Brotstangen – wie schon seit den Tagen, als Frankreich und Deutschland noch längst keinen Frieden geschlossen hatten.

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